Über den Gendefekt PSSM gibt es viele Informationen im Netz. Darunter auch viele Halbwahrheiten oder Falschaussagen. Da bei Norikern viele Tiere Träger des Defekts sind, haben wir vor zwei Jahren angefangen, uns intensiver mit der Thematik zu beschäftigen. Die wertvollsten und fachlich fundiertesten Informationen haben wir bei der Tiernaturheilkundeschule Vock gefunden. Britta Vock und Liza Gerber sind Experten auf dem Gebiet und wir freuen uns sehr, dass Liza uns ein Interview zu den neuesten Erkenntnissen im Bereich PSSM gegeben hat.
Bisher sprach bzw. las man von PSSM Typ 1 und Typ 2. Nach neuesten Erkenntnissen aus den USA gibt es wohl noch mehrere Typen? Wie ist das genau zu verstehen?
Liza: Jein. Stephanie Valberg entdeckte während ihrer Forschung Auffälligkeiten in Muskelbiopsien, die zu 90% von den Defekt des GYS1-Gens her rührten, welches eine sozusagen dauerhafte Glykogen-Synthese auslöst. In 10% der Fälle wiesen die Pferde allerdings nicht das beschädigte Gen auf. Deshalb nannte man diesen Defekt notgedrungen Typ2, obwohl er gar nicht Glukose-basiert ist, wie man heute weiß, also gar keine Saccharide-Speicher-Myopathie ist.
Nach heutigem Stand des Wissens (Quelle: Equiseq) führen 4 verschiedene Defekte zu dem in einer Muskelbiopsie sichtbaren Zustand von dem, was als PSSM Typ2 verstanden wird/wurde, benannt mit P2-P5. P2 und P3 sollen bald testbar sein, P4 und P5 sind in der Testphase. Darunter sind Myopathien (Muskelerkrankungen) wie MFM (Myofibrilläre Myopathien) und RER (Recurrent Exertional Rhabdomyolysis).
PSSM Typ2 wird also derzeit mehr als Sammelbegriff verstanden.
Wie kann man durch Tests erfahren, welcher Typ PSSM beim Pferd vorliegt?
Liza: PSSM Typ1 lässt sich zweifelsfrei durch einen Gentest mittels Haarwurzeln oder Blut bei Laboklin testen. PSSM Typ2 ist da schon kniffliger, da die Muskelbiopsie zwar den „Krankheitszustand PSSM“ feststellt, aber durch die Probe nicht klar wird, welcher ursächliche Defekt vorliegt. Hier dürfen wir gespannt sein auf die Entwicklung der nächsten Monate und Jahre, da an verschiedenen Stellen mit Hochdruck an Genom-Entschlüsselung gearbeitet wird.
Gibt es nach den neuen Erkenntnissen einen Gendefekt, der aussieht wie PSSM, es aber nicht ist? Wenn ja, was bedeutet das für die Pferde.
Liza: Hier muss man „aussieht wie“ genauer definieren, denn einige Gründe können zu PSSM-ähnlichen Symptomen führen, darunter auch Mängel in der Ration (Mineral- und/oder Proteinmangel, Ungleichgewicht der Aminosäuren, etc.), Borreliose, Weidemyopathie und eben auch MFM, RER und was man klassisch unter PSSM Typ2 verstand. Hier macht derzeit erst einmal nur eine Muskelbiopsie Sinn und als Therapie ein proteinbasierte Diät mit Aufwertung der Aminosäuren. Das natürlich, nachdem alles andere ausgeschlossen wurde.
Es kann also sein, dass ein Pferd auf PSSM 1 negativ getestet wurde und dennoch PSSM Typ 2 vorliegt?
Liza: Selbstverständlich! PSSM Typ1 ist ja etwas völlig anderes.
Es gibt viele PSSM Pferde, die offenbar keine Symptome haben und bei denen sich der Gendefekt nicht sichtlich auswirkt. Wie ist das zu erklären?
Liza: Das höre ich immer wieder und muss es immer wieder erklären.
PSSM sind nicht nur die gefürchteten Schübe oder klare Auffälligkeiten, gerade angepasst gehaltene und gefütterte PSSMler zeigen praktisch gar keine Auffälligkeiten.
Das liegt in der Sache: den falsch gehaltenen und gefütterten PSSMler, dem es dauerhaft blendend geht, gibt es nicht. Ich habe über die Jahre sicher an die 1.000 Fälle verfolgt und mit noch mehr Menschen gesprochen. Viele der Auffälligkeiten wurden nie mit PSSM in Verbindung gebracht (hart im Maul, schwer in der Schulter, dauerhaft dunkler Urin und vermehrtes trinken uvm.) und die Pferde zeigten erst mit zunehmendem Alter mehr und deutlichere Symptome.
Nicht zu vergessen ist auch, das Fohlen und Jungpferde sowie Hengste wegen ihrem „schnelleren“ Stoffwechsel seltener auffällig sind und auch bei ungerittenen Pferden wie Zuchtstuten etwaige Symptome wesentlich weniger bemerkt werden. Stress ist ein weiterer Trigger, der natürlich je nach Haltung und Nutzung ganz unterschiedlich stark auftritt.
Hochsymptomatische Pferde, trotz bester Haltung und Fütterung kenne ich fast keine, höre nur immer von vielen Fällen in den USA. Hier vermutet man einen Zusammenhang, wenn das Pferd ebenfalls Träger der MH ist und/oder neben PSSM Typ1 auch einen der PSSM2 Typen trägt. In Studien von Equiseq wurden Pferde sowohl P1 als auch P2 positiv getestet.
Was sollten Menschen, die ein PSSM positiv getestetes Pferd haben, tun?
Liza: Erstmal. Ruhig bleiben 😉 Und verstehen, dass PSSM keine Krankheit ist. Das Pferd ist kein anderes als vorher, es hatte den Defekt schon immer. Für viele ist es fast eine Erlösung, da oft Jahre und viel ausgegebenes Geld vergehen mussten, bis mit dem positiven Gentest die Probleme erklärbar wurden.
Dann zu allererst einmal ein grosses Blutbild veranlassen, bei dem auch alle Mineralien & Spurenelemente mit getestet werden, um eine Bestandsaufnahme zu machen. PSSMler haben nicht selten eine belastete Leber und/oder Nieren, sind übersäuert zudem können Mängel bei den muskelrelevanten Mineralien (Mangan, Selen, Magnesium) Symptome verschlimmern. Erfahrene Tierheilpraktiker oder ein ganzheitlich arbeitender Tierarzt helfen gern bei der organischen Therapie und etwaig nötiger Entgiftung/Entsäuerung, eine unabhängige und PSSM-erfahrene Futteranalyse stellt den Futterplan auf und stimmt die Supplementierung auf Bedarf und Grundfutter ab.
Jeder Besitzer selbst sollte aber über das nötige Grundwissen verfügen, um Futter-Zusammensetzungen lesen und verstehen zu können, nicht zuletzt um Verbindungen zu PSSM zu verstehen. „Weniger ist mehr“ bei dem Gendefekt und so bietet sich damit die Möglichkeit, viel zu lernen über artgerechte Pferdehaltung und -fütterung und künftig auch für die „gesunden“ Pferde an den bunten Müsli-Tüten vorbei, eine konsequente und artgerechte Fütterung zu gewährleisten. Den meisten PSSMler geht es bestens bei geeignetem Heu satt und einem abgestimmten Mineralfutter.
Vielen Dank Liza!
Vom 01.06.17 – 14.06.17 findet ein Online Seminar zum Thema PSSM der Tiernaturheilkundeschule Vock statt. Hier könnt Ihr Euch dazu anmelden: https://www.tiernaturheilkundeschule.de/onlineseminare/
Über Liza Gerber:
Liza Gerber, Jahrgang 1977, hat eher Reiten als Laufen gelernt, trotzdem erst mit 23 das erste eigene Pferd, Dressur bis L geritten, 2003 der Umstieg aufs Westernreiten, 2007 ohne mein Wissen (Gentest noch nicht verfügbar) ein PSSM-Pferd gezüchtet, Gentest 2012 und dann fing ihre Reise an, mit Britta Vock von der Tiernaturheilkundeschule Vock. Im Nebenberuf ist sie unabhängiger Ernährungsberater Pferd und hat Grundstudien in Homöopathie, Phytotherapie und Bachblüten absolviert. Ab 2017 ist Liza Gerber Gastdozentin für PSSM-Online Seminare in der Naturheilkundeschule Vock.
Seit 2013 hat sie weiterhin als eingesetzter Administrator die Facebook Gruppe: PSSM-Ernährung und Gesundheit mit aufgebaut. Diese ist von knapp 300 auf aktuell fast 2.800 gewachsen. Jeden Tag investiert sie 3-5h ehrenamtliche Arbeit dort, um unabhängige Hilfe für Halter mit dem ganzheitlichen Auge, von seelischem Beistand bis hin zu fachlicher Hilfe zu bieten. Bei der Gruppe handelt es sich ganz ausdrücklich nicht um eine Haltergruppe, sondern um eine von Profis geführte moderierte Gruppe, denn halbseidene „Tipps“ ohne fachlichen Hintergrund bekommt man viel zu viel schon im Netz.
Auch uns hat sie geholfen!!
Ein großes Dankeschön 🙂
Hallo, habe ein mit 11 J – fast verhungertes vom Händler gerettetes – Pferd übernommen von einer Freundin, es war schon 1 Jahr wieder gut aufgefüttert, hab es dann zu gut gemeint und meinem Futtermittelhändler geglaubt und Müsli gegeben, ein Jahr später fing sie an mit m.E. „Hungerbehaarung“, wurde über die Jahre immer stärker, am Ende lockiger und seit Herbst plötzlich dramatischer Abbau der immer guten Bemuskelung (ist jetzt 19) – nun habe ich den Verdacht Cushing – PSSM, meinem Tierarzt telefoniere ich jetzt seit Wochen hinterher, hoffe das klappt bald – was soll er untersuchen? Haarprobe, Blut oder was? Wie kann ich fütterungstechnisch helfen, bekommt seit zwei Jahren kein Müsli mehr, nur noch Heu, Kräuter und „pferdgerecht“ (div Gräser + Pflanzenmischung), seit der Abmagerung wieder Handvoll „reinen“ Hafer und mache Laserakupunktur, nimmt aber nicht zu, Fellwechsel noch nicht angefangen…
Hallo Manuela,
also zwecks PSSM wäre es gut wenn du Schweifhaare mit Wurzeln zu Laboklin senden würdest. Hier bekommst du dann eine Info ob dein Pferd Träger ist oder nicht. Bzgl. Cushing musst der ACTH-Wert inkl eines großen Pferdeprofils vom Labor getestet werden. Wichtig ist hier, dass das Blut auch direkt zentrifugiert wird und nicht liegen bleibt. Das weiß der Arzt in der Regel aber. Leider darf man grundsätzlich bei Stoffwechselerkrankungen keinen Herstellern glauben. Du machst es schon richtig, dass du keine Müslis mehr fütterst. Ich würde die Ergebnisse abwarten. Wichtig ist auch, dass Mineralstoffe mit getestet werden, um einen Mangel auszuschließen. Danach kann man dann auch eine Fütterungsempfehlung geben.